Der Pitter und die Holzdiebe
Soldaten schlagen Holz im Korlinger Wald – die Dorfbewohner sind empört. Foto: Christina Bublitz
Oh, was für ein furchtbar kalter Winter das war. Da brannte das Feuer im Herd der Küche den ganzen Tag, damit man sich hin und wieder aufwärmen konnte. Und besser ging es auch nicht den französischen Besatzern in Trier. Da hatten zwar die Offiziere in den feinen Kaufmannshäusern oder bei den reichen Ratsherren ein warmes Unterkommen. Aber Bürger und Bauern froren – und damit auch die bei ihnen einquartierten Soldaten im Jahr 1795. Die mussten in den Küchen hocken, verqualmten alles und fühlten sehr deutlich, wie willkommen sie waren, jetzt wo Brot und Holz Mangelware waren. Ja, das Brot auch, denn es fehlten Mehl und Fleisch für so viele Münder. Dabei hatten im Sommer noch alle Hurra geschrien, als die Franzosen sie „befreiten“. Na ja, in der Not ist sich jeder selbst der Nächste.
Da zogen also die hungernden und frierenden Soldaten in kleinen Rotten mit Handkarren in die umliegenden Dörfer und requirierten Lebensmittel und Holz für ihre kalten Stuben. Was sollten sie machen, von ihrem mageren Sold konnten sie kaum etwas kaufen. Auch beim Pitter holten sie Schinken, Kartoffeln und Holz. Aber dann war das zu Ende: Die Reste brauchten die Bauern in diesem harten Winter für sich selbst. Also versteckte man alles. Lange Gesichter, lautes Geschimpfe. Gestohlen wurde nachts, die Korlinger waren auf der Hut.
Und so hören sie auch eines Morgens die Axtschläge im Wald an der „Naumetter Kupp“, als sie selbst an der Waldracher Straße Brennholz holen. Schnell hinauf ... wer schlägt da Holz? Wer schon – die Franzosen: Sechs Männer in Uniform fällen mit Äxten Bäume. Zwei liegen schon da, zwei werden schon zersägt. Unsere Korlinger sind außer sich, stürzen sich auf die Soldaten, entreißen ihnen die Äxte. Ein Gerangel, ein Schreien, deutsch, französisch – und dann: ein Schuss. Da sind alle erst mal still. Der ging zwar in die Luft, aber jetzt zielt der Schütze auf den Pitter und geht langsam auf ihn zu. „Trop humide – sêcher“, erklärt der Pitter furchtlos, „viel zu nass, das Holz muss trocknen.“ – „Weg, weg!“, bedeutet ihm der Soldat mit der vorgehaltenen Pistole. Was sollten die Einwohner da machen? Mit hängenden Köpfen schleichen sie davon – und hören schon nach wenigen Metern wieder die gleichmäßigen Axtschläge.
Wut hatten sie im Bauch. Wie lange so ein Baum brauchte, bis man ihn schlagen konnte, wussten die das nicht? Aber denen war das egal, die dachten nur ans Hier und Jetzt. Eine Beschwerde bei der Militärverwaltung in Trier würde nichts nutzen. Die hatte das und alle Plünderungen zwar verboten, schaute aber auch nicht so genau hin – zumal es um die Zufriedenheit ihrer Soldaten ging. Und die Deutschen sollten dankbar sein gegenüber ihren Befreiern.
Aber weiter dulden konnte man das nicht, schließlich gab es immer wieder Winter, und für die Küche brauchte man das ganze Jahr über Holz. Die Katharina schäumte vor Wut: „Ihr hättet sie verjagen müssen, ihr wart doch viel mehr!“ – „Mit einer Kugel im Kopf verjagt es sich schlecht“, erwiderte der Pitter verärgert. „Die hätten doch nicht wirklich auf euch geschossen“, schimpfte sie weiter. „Auf dich vielleicht nicht, aber… aber…“ Blitzartig stand das Bild vor ihm: Alle, Frauen, Kinder, Männer müssten sich ihnen entgegenstellen, 30 Männer und Jungen, 40 Frauen und Mädchen und all die Kinder, das wäre wie eine mächtige Mauer!
So sollte es also sein. Zuerst hatten die Korlinger Angst. Soldaten, Degen, Gewehre, zimperlich sollten sie nicht sein, hatte man so gehört. In Trier wäre es drunter und drüber gegangen. Aber der Pitter erklärte ihnen, dass es nur schlimmer werden würde mit immer mehr Diebstahl und sie schließlich keinen Wald mehr hätten und keinen Ofen und keinen Herd mehr beheizen könnten. Oh, was für ein furchtbar kalter Winter das war … Also sahen es alle ein, gemeinsam, miteinander, füreinander! Die Kinder stellten sie in die erste Reihe, die kleinsten nach vorne. Da blutete den Müttern das Herz, aber sie standen ja dicht dahinter und hielten die Hände auf die kleinen bemützten Köpfe. In der dritten Reihe dann die Männer, das war ein gewaltiges Bild, könnt ihr mir glauben. Und eines, das zu Herzen ging. Aber man brauchte kein Hasenherz zu haben, um die Situation als bedrohlich und arg gefährlich zu empfinden. Da war kein Unterschied zwischen Frauen, Männern und Kindern, die Beine zitterten, am Hals pochten die Adern, Schweiß brach aus trotz der großen Kälte.
Und jetzt kamen sie auch schon, die sechs Frevler mit ihren Handkarren, lachend und schwatzend – und dann stehen sie vor der Menschenmauer und schauen finster auf die Korlinger. Und dann zücken sie im ersten Ärger die Degen und Pistolen. Aber was sollten sie machen, da standen 100 Menschen und blickten ihnen in die Augen …
Und jetzt wird’s auf einmal unheimlich, ob ihr’s glaubt oder nicht. Denn da singt ein Kind, der Pit ist es, leise das Lied vom „Frère Jacques“. Das passt jetzt so gar nicht hierher, aber es ist das einzige französische Lied, das sie in der Schule gelernt haben. Und dann fallen die hellen Stimmen anderer Kinder ein, und es werden immer mehr. Und dann singen die Frauen mit, und zuletzt brummen die Männer schief und falsch:
„Frère Jacques, frère Jacques,
Dormez-vous? Dormez-vous?
Sonnez les matines, sonnez les matines!
Ding, dong, dong – ding, dong, dong.“
Atemlose Stille herrscht danach, ein kleines Kind weint, eines schluchzt, die Mauer wackelt. „Rétirez!“, brüllt der Anführer, die Degen und Pistolen verschwinden – und die Soldaten auch. Es sind Soldaten, ja. Aber seit wann schießen französische Soldaten auf Frauen und Kinder? Die Revolution ist vorbei. Tatsächlich kamen nie wieder Holzdiebe aus Trier.
Das war schon ein Ding, das sich der Pitter da mit den zwei Heiligen der Kapelle geleistet hatte. Um vom Abt endlich die versprochenen Patronatsheiligen Johannes und Paulus zu bekommen, hatte er zwei grobe Holzklötze aufgestellt, die natürlich als heidnische Götzen galten und für gehörigen Aufruhr sorgten. Sogar der Bischof hatte geschimpft. Da musste der Abt wohl oder übel die beiden Figuren stiften, die sich als Christen im Jahr 361 geweigert hatten, den Kaiserkult mitzumachen. Da standen sie nun auf dem Altar, die Märtyrer, dabei war es ja durchaus nicht jedermanns Sache, sich für seine religiöse Überzeugung den Kopf abschlagen zu lassen. Wetterheilige waren sie gegen Hagel, Sturm und Blitzschlag sowie
Die sommerlichen Heiligenfeste bereiten den Frauen in Korlingen nur Ärger. Foto: Christina Bublitz
für oder gegen Regen und Sonnenschein – schwarze Kerzen mussten bei Unwetter abgebrannt werden.
Und jetzt wollte der Pitter die abschaffen. Du lieber Himmel, die Heiligen abschaffen im Jahr 1806. Wo denkt ihr hin – das hatte zwar der Luther getan, aber im Trierer Land ging das ganz und gar nicht. Also nicht abschaffen, sondern andere suchen, und alles blieb im Lot. Mit den beiden war das nämlich so: Die sollten die Ernte bewahren und hatten am 26. Juni Patronatsfest, was ein Volksfest war mit reichlich Speis und vor allem Trank. Und dann leider eben auch mit vernebeltem Hirn und zu viel Muskelschmalz am falschen Ort. Zum Beispiel am Schädel des Nächsten oder unter dem Kinn des Nachbarn. Und mit Stürzen und Brüchen und selbstredend dickem Kopf für drei Tage. Und das mitten in der Heuernte – eine Katastrophe. Da halfen auch die Heiligen nicht.
Der Pitter ruft nach deren Bettlägerigkeit und schwerer Benommenheit seine menschlichen Schafe und Hornochsen und die kummervollen Frauen zusammen. Er schlägt vor, die Heiligen Johannes und Paulus umzutauschen. Kein Kloster ist mehr ihr Lehnsherr, kein Abt hat ihnen noch etwas zu sagen, sie sind freie Bürger und können im französischen Saardepartement tun, was sie wollen, sagt er. Eieiei, das ist für die Frauen und selbst für die hartgesottenen Männer starker Tobak: die Heiligen umtauschen, auswechseln wie ein Rad? Und wer würde für die Ernte sorgen? Und welche würde man ersatzweise bekommen? Und wären die auch noch für sie, die Korlinger, zuständig? Ja, und wären die Weggegebenen nicht böse auf sie und würden vom Himmel Hagel und Blitzschlag senden? „Ja ja“, schrie die eine, dadurch kämen sie schnurstracks in die Hölle. Was für ein Geschrei, eine Angst und Not, ein halber Aufstand. Da ließ der Pitter es eben bleiben.
Aber im nächsten Jahr verhagelte das Patronatsfest schon wieder die Ernte: zerbrochene Krüge, zerschlagene Köpfe und vor allem wütende Ehefrauen. Und, ach, was waren sie matt und müde bei der Ernte – die Sense schlich förmlich über den Boden. Dabei konnte plötzlicher Regen das Heu verderben, es musste schnell gehen, zumal der Herrgott von der Kanzel in Trier strengstens verboten hatte, am heiligen Sonntag zu heuen. Viel Geld ging bei der Zecherei ja auch drauf, das man dringend für den Winter brauchte.
Jetzt ruft Pitter am nächsten Tag, als die Gedanken noch nicht klar gefasst werden, alle zusammen: Er werde einen neuen Heiligen suchen, einen guten, schützenden, Helfer in der Not – aber eben einen, der nicht mitten im Sommer gefeiert werden musste, basta! Und da die Frauen so finster wie ein Gewitter blicken, muckst keiner auf.
Im November geht er nach Trier zu seinem Freund, dem Medicus. Sie suchen zwei Tage lang. Heilige waren leicht zu finden, die Klöster waren von den Franzosen leergeräumt. So manche Figur stand im Eck eines Bürgers oder beim Händler. Arme Heilige!
Und tatsächlich finden sie eine schöne Figur bei einem Trödler auf der anderen Moselseite. „Ah, Sie interessieren sich für unsere Nikolausfigur“, kommt der Verkäufer eilfertig aus einer Rumpelkammer geschossen. – „Wir suchen einen Valentin.“ – „Ach, Momentum, lassen Sie mich mal schauen.“ Und er dreht und wendet die Figur vor ihren Augen, bückt sich und schaut unter den Sockel, besieht sinnend die staubige Mitra… „Aber das ist ja der Heilige Valentin, meine Herren!“ – „Ach ja?“ Nun denn, dem Pitter ist’s Recht, was ist Wahrheit? „Wie viel?“ – „20 Francs.“ – „Ja, für den Nikolaus wär’s angemessen, aber das ist ja ein Valentin.“ – „Na gut, 18!“ – „15 ... oder eine Expertise“, sagt da der Medicus. Ihr solltet mal sehen, wie schnell da der Handel abgemacht ist.
Bald kommt der Heilige in Korlingen an. Es ist eine einen Meter hohe Statue in leicht geschwungener Haltung, rotem Mantel mit Brokataufsatz, Bischofsmütze mit Goldrand und einem langen Krummstab. Kräftige Handschuhe hat er und blaue Augen, das wird seinen Bauern gefallen, denkt der Pitter. Aber die kennt er noch immer nicht gut genug.
Denn die glotzen – und meckern: Wofür der denn jetzt gut sei? Er heile Krankheiten, deswegen sei er ja hingerichtet worden, weil er viele Christen geheilt habe, besänftigt der Pitter. Noch reicht es nicht. Er bewahre vor der Pest. Das macht Eindruck, sie grummeln aber noch. Er sei für die Liebenden und verhelfe zu einer guten Ehe. Da schauen die Frauen die Männer bedeutungsvoll an, der Pitter ergreift die Gelegenheit: „Am Tage von Sankt Valentin, da gehen Eis und Schnee dahin!“ Das gefällt allen, und jetzt ist Ruhe.
Das Ende vom Lied: Die Heiligen Johannes und Paulus stehen in römischer Soldatenkluft noch heute auf dem Altar, beide mit einem Schwert, und der Heilige Valentin auf einem Sockel halbhoch an der Seite. Tja, so ist es bis heute: Drei Heilige gibt es in der Korlinger Kapelle, für jeden etwas. Aber das werdet ihr nicht leugnen, ein Heiliger mehr hat noch nie geschadet.
Vom Autor sind 24 der Erzählungen mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz als Buch erschienen: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.
Birgit und Bernhard Hoffmann lesen aus den aus dem Trierischen Volksfreund bekannten Pitter-Geschichten, in denen das Leben im 18. Jahrhundert lebendig wird. Held ist darin der Korlinger Pitter, dem es immer wieder gelingt, gegen den Willen der Obrigkeit einen Vorteil für das arme Dorf herauszuschlagen. Dabei ist er ein Vorkämpfer der auch in Deutschland beginnenden Aufklärung und geht gegen Vorurteile und Ungerechtigkeit an. Es finden sich auch Erzählungen, die in Gusterath spielen! Zum Buch hat Christina Bublitz 50 anmutige Illustrationen geschaffen, die sie in Auszügen zeigen wird.
Die Lesung findet am Sonntag, dem 25. September um 17 Uhr im Bürgerhaus Gusterath statt.
Der Eintritt beträgt 3 €, darin ist ein Glas Wein oder anderes Getränk enthalten.
Buch-Beschreibung:
Der PITTER, ein Held aus Korlingen bei Trier. Erzählt werden seine Erlebnisse von der Kindheit bis zum Hereinbrechen der französischen Revolution 1789. So gelingt es ihm beispielsweise, dem Abt der Grundherrschaft St. Martin in Trier eine Kapelle abzuringen, danach auch das gesamte Inventar. Mit List und Beharrlichkeit führt er so manchen weiteren Vorteil für die kleine Ruwertalgemeinde herbei, den Steinbruch, die Weinberge, den Kartoffelanbau u.a. Darüber hinaus hilft er, wo er kann, vermittelt im Streit oder zeigt Klugkeit und Menschlichkeit. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck. In 24 Erzählungen entsteht so mit warmherzigem Humor ein ganzes ´Bilderbuch` der kleinen armen Gemeinde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Autorenportrait:
Bernhard Hoffmann, geboren 1951, lebt in Korlingen bei Trier und schreibt seit seiner Jugend. Er war Lehrer für Deutsch und Religion und von 2000 bis 2013 Dozent in den Bildungswissenschaften an der Universität Trier. 2020 erschien "HEIMAT, Korlingen damals und heute".
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DER PITTER. KORLINGER GESCHICHTEN I
Sprache: Deutsch
Umfang: 140 S., 50 farbige Illustrationen von Christina Bublitz
Format (T/L/B): 0.9 x 21.5 x 13.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2022
Einband: kartoniertes Buch
Erschienen am 03.01.2022
Preis: 18,90.-€ (zzgl. 1,90.-€ Versand, falls nötig)
ISBN: 9 783755 778547
Einfach per Mail bestellen: hoffmann1530@aol.com
Ein gefährlicher Gast
Da rumpelt es in der Küche, hört mal! Da ist etwas gefallen, ganz dumpf, dann klirren Gläser. Der Pitter steht an der Haustür, zieht die Stiefel nicht aus, geht hinein – ach, das ist jetzt eine hässliche Geschichte, wo Zähne ausgeschlagen werden und Blut fließt.
Denn da steht einer in der offenen Tür zur Speisekammer, den gefüllten Sack geschultert, zerzaustes Haar, ein schwarzer Bart, kleine Augen wie ein Bär, riesengroß! Und jetzt, Pitter?
– Mutig geht er voran, auf den Kerl los – aber das ist vergebliche Mühe, denn der schlägt jetzt ein auf den Pitter wie ein Berserker, schlägt ihn nieder, lautlos – aber der Pitter brüllt, vor Schmerz und um Hilfe und ist wieder auf. Plötzlich, ein großes Messer, wo kommt das her? Ohne zu denken greift der Pitter auf den Tisch, greift das Kneipchen... was soll das bringen? Denn der Mensch ist raus.
Aber weiter als bis in den Hof kommt er nicht: da stehen der Nikla und der Johann. Den ersten streckt er mit einem Schlag nieder, dem zweiten springt er an die Gurgel – oh, das tut weh, was für eine Würgegriff! Und jetzt blinkt das große Messer vorm Hals, der Johann drückt mit starkem Arm dagegen, es kommt näher und näher... Aber dann, der Pitter: der hat einen groben Klotz Holz in der Hand und lässt ihn auf den Schädel des Kerls niedersausen. – Das halbe Ohr ist ab, das Blut spritzt, aber der Mensch lebt und hat blitzschnell den Johann weggeschleudert, dem Pitter das Holz entwunden und tritt schon auf den am Boden Liegenden ein, als – Himmel, es ist höchste Zeit! – die Katharina um die Ecke kommt und schreit. Da blickt er kurz auf, aber das reicht dem Johann, der ihn endlich mit einem schweren Balken niederstreckt. Aber, Teufel nochmal, wie bei den Katzen, der hat sieben Leben: man muss ihn mit der Forke am Hals bändigen und überall binden.
Was für ein Aas! Bestiehlt die armen Bauern, schlägt alle halb tot, dem Nikla fehlen zwei Zähne, der Johann kann nicht mehr sprechen, dem Pitter schwankt der Boden unter den Füßen, aber der Kerl liegt gefesselt am Boden, blutet wie ein geschlachtetes Schwein, blickt sie mit Augen voll Hass an – und bespuckt sie noch.
Was nun? Den Gendarmen übergeben, so der erste Gedanke. Sie stellen ihn auf, verlängern die Fußfesseln. Marsch: los geht`s! – Wohin? – Zur Wache! – Nein, um Gottes Willen nicht! schreit er. So einer ruft Gott an! Der Pitter klatscht ihm aufs Hinterhaupt. – Tut das nicht, ich bin der Schinderhannes! Wenn ich meine Mannen rufe, seid ihr alle tot – das ganze Dorf wird brennen! – Au weh, da stockt der Zug: Du bist doch der, der den Niklas Rauschenberger erschlagen hat, sagt der Johann. – Er hat es verdient, ein Räuber und Leuteschinder, erwidert
der barsch. – Ein Mensch, immer noch, sagt der Pitter.
Hört her, ich bin aus dem Gefängnisturm in Simmern geflohen, ich allein habe zwölf Franzosen erledigt. Sie wollten mir den Hals rasieren, sie haben so eine schneidige Maschine dazu... Wenn ihr Franzosenfreunde seid, dann los, ich habe keine Angst! – Na, als Franzosenfreunde bezeichnet zu werden, das musste erst mal verdaut werden. Zwar waren sie freie Bauern geworden unter dem Napoleon, die Klosterherrschaft war vorbei – doch die andern, das waren die Besatzer. Und auch sie regierten und verlangten Steuern.
Da sperrten sie ihn erst mal ein, und alle im Dorf beratschlagten. Der eine hatte Schlechtes vom Schinderhannes gehört, ein anderer Gutes und wusste seinen Namen: Johannes Bückler; Vieh hätte er gestohlen, die einen; er kämpfe gegen die Obrigkeit, also gegen die Besatzer, die andern; er gebe von der Beute den Tagelöhnern ab – ach was, er saufe bloß mit ihnen und gebe einen aus. – Zuletzt war das Bild mehr schlecht als recht, aber ihn den Franzosen zu überlassen mit ihrem Mordwerkzeug, das wollte dann doch keiner. Er soll erst mal bleiben und bei der Ernte helfen, sagte der Pitter, und dann sich davonmachen.
So kam`s, dass der gefürchtete Schinderhannes 1799 in Korlingen frei herumlief. Dabei war er freundlich, vor allem bei den Frauen ein Kavalier, und wenn er abends von seinen Großtaten prahlte und witzig erzählte, war die Küche beim Pitter voll: Wer meinen Namen hört, läuft weg! – Gegen eine ganze Armee haben wir gekämpft und gewonnen! – Einmal habe ich einen Ochsen gehoben, in die Luft, so hoch! – Die Franzosen haben mehr Angst vor mir als vor einer ganzen Kompanie Preußen! – Naja, nicht alles musste man glauben.
Und das ging einige Tage gut. Er schäkerte mit den Mädchen hier und da – aber mit der Regina besonders, auch heimlich. Und die achtete auf die zweideutigen Sprüche nicht wirklich, sondern fühlte sich geschmeichelt. Immerhin war der Hannes ein schneidiger Kerl. Wenn es so flötete aus seinem schön geschwungenen Mund, war sie wie verzaubert. Als der Hannes dann eindeutig und zudringlich wurde, lief sie weg, der Katharina vor die Füße, die den Braten lange gerochen hatte. Eine nächtliche Aussprache der Katharina mit dem Pitter, dann war es aus mit dem Schinderhannes in Korlingen.
Am nächsten Mittag stehen sich der Pitter und der Hannes gegenüber: er muss gehen, sofort. – Sonst? – Da treten alle Männer des Dorfes hinter der Scheune hervor. Such dir dein Liebchen anderswo! – Ach, deswegen, lacht der Hannes. – Aber da ist kein Pardon, die Männer haben Seile und Knüppel in den Händen, blöd, wer da nicht kapiert, dass die Guillotine ruft –.
Also packt er seine Siebensachen, bös ist er nicht, er redet von seiner nächsten großen Tat, die schon geplant sei: Berühmt werde ich einmal sein, ihr werdet von mir hören! Das Dorf wird er verschonen, zum Dank, er ist großzügig. Und er schreibt ihnen noch einen sogenannten ́Freibrief `, gezeichnet Johannes Bückler, genannt der Schinderhannes. Da können die Korlinger jetzt stolz sein, sagt er. Na danke, sagt der Pitter anstandshalber – und zerreißt das Papier vor aller Augen, als der Mensch fort ist.
An einem nebligen Herbsttag des Jahres 1803 wird das Leben des Schinderhannes nach 54 Verhören in Mainz schließlich doch durch die Guillotine beendet.
(Anmerkung: Seit 1794 haben die Franzosen Trier und das linksrheinische Gebiet besetzt. Trier wird Hauptstadt des Saardepartements.)
Da war plötzlich so ein Gerücht im Dorf und alle glaubten. Das kann schnell gehen mit dem glauben, entweder wenn es ernst wird oder wenn es jemandem nützt –. Sogar von Irsch kamen sie oder von Filsch: da war nämlich eine Heilquelle oberhalb der Wacken entdeckt worden, von wem bloß? Denn das Wasser hatte der Pitter schon so manchen Winter quillen sehen. Und jetzt war das eine ´wundertätige` Heilquelle –. So kamen also die Menschen mit den Augenleiden, dem harten Husten, dem Ischias und Zipperlein, dem Kreuzweh, Bauchweh und was es sonst noch so gibt, denn so genau wusste das natürlich keiner, wofür oder wogegen das Wasser helfen sollte. – Wir gehen ins Mittelalter zurück, schimpfte der Pitter bei der Katharina. Aber die meinte, man solle die Menschen tun lassen, was sie wollten. Der Glaube versetze Berge, sage der Herr Pfarrer. – Ja, Herrgott, aber anstatt zum Arzt zu gehen, saufe man jetzt schmutziges Regenwasser; das sei vielleicht der schnellste Weg in den Tod.
Die Sache nahm einigen Aufschwung, die Menschen kamen und füllten das Wasser flaschenweise ab, das Korlinger Wasser wurde berühmt, kann ich euch sagen, bis zur Mosel herab. Am blödesten waren die, die lästerten und lachten – und nachts sah man sie mit vollen Flaschen heimkommen. Am schlimmsten aber trieb es die eine aus dem Dorf, die beim ersten Vollmond nach der Wintersonnenwende abgefüllte Flaschen für teuer Geld verkaufte. Die seien dreifach wirksamer. Sogar eine Prozession pilgerte den Berg hinauf! Da könnt ihr euch vorstellen, dass dem Pitter der Kragen platzte –.
Er ging zum Pfarrer, der solle den Unsinn unterbinden, schon 1784 habe Kurfürst Wenzeslaus solcherlei religiöse Missbräuche verbieten lassen. Und die Franzosen wären wohl kaum entzückt, wenn sie von dieser unvernünftigen Heilerei zu hören bekämen. – Na, deren Tempel der Vernunft, die jetzt die Kirchen ersetzen sollten, hülfen den Menschen auch nicht. Ohne den Glauben wäre der Mensch wie ein hilfloses Stöcklein auf dem Wasser. – Aber die Medizin sei ein Gottesgeschenk und könne besser heilen als Grundwasser, das im Winter den Berg herunterlaufe. – Der Mensch brauche etwas zum Festhalten. – Kurpfuscherei sei das, Geldmacherei und Betrug dazu. – Pitter, die Wege des Herrn sind unerforschlich, sagt der Pfarrer. – Der Pitter schaut ihn nur lange an – dreht sich um und geht. – Da lebt man im 19. Jahrhundert, die Pest ist besiegt und die Kaiserin Maria-Theresia hat die gesamte Bevölkerung mit Medizin gegen die Pocken impfen lassen, und die Scharlatanerie geht immer so fort, schimpfte er beim Nikla. – Die Alte verdiene sich dumm und dusslig, jetzt habe sie sogar besondere braune Flaschen, so kleine medizinische wie in der Apotheke, sagte der.
Aber eines Morgens, als der Pitter sehr früh auf ist, um nach Trier zu gehen, hört er das Klicken von Flaschen. Mit einem Handwagen sieht er die eine kommen: Aha, wieder Regenwasser abgefüllt? – Was geht’s dich an? – Heute Nacht war aber kein Vollmond. – Das ist auch anderes Wasser. – So? – Für ärmere Leute, die Arznei ist billiger. – Und jetzt passt auf, denn der Pitter kriegt sie dran: Arznei, soso! Und gleichermaßen wirksam? – Natürlich nicht. – Klar, sind ja keine Vollmondernten, lacht der Pitter. – Aber sie wirken wundertätig, keift die Alte. – Bloß, dass man mehr kaufen muss, wenn man geheilt werden will, stimmts? – Wie? Was? Warum? – Das versteht sie nicht, und der Pitter lässt sie stehen und geht kopfschüttelnd davon.
Na, da geht er nach Trier und dann wieder zurück den Filscher Berg hoch – und da hat er sie schon, die Idee, wie der das Handwerk zu legen ist. Mit dem Nikla geht er noch vor Morgengrauen zur ´wundertätigen Quelle`, lauter Kerzen und Votivtäfelchen stehen da. Und jetzt graben sie 200 Meter über dem Ausfluss Gräben nach links und nach rechts ins Feld, wie die Äste eines Baumes sieht das aus. Das hat er im Nutzbringenden Rathgeber für den churtrierischen Landmann gelesen, wenn es um die Entwässerung von Feldern geht. Und so verläuft sich die scheinbare Quelle – da hat der Pitter kein bisschen ein schlechtes Gewissen. Denn dann wird das nichts mehr mit der Quacksalberei und dem unverschämten Profit der einen im Dorf, und die Leute gehen zum Arzt statt unreines Wasser zu trinken. – Achje, wie sie schreien und zetern und klagen. Jetzt ist die Quelle versiegt! Der Herr will sie strafen! – Tja, die Wege des Herrn sind unerforschlich –.