Buch-Beschreibung:
Der PITTER, ein Held aus Korlingen bei Trier. Erzählt werden seine Erlebnisse von der Kindheit bis zum Hereinbrechen der französischen Revolution 1789. So gelingt es ihm beispielsweise, dem Abt der Grundherrschaft St. Martin in Trier eine Kapelle abzuringen, danach auch das gesamte Inventar. Mit List und Beharrlichkeit führt er so manchen weiteren Vorteil für die kleine Ruwertalgemeinde herbei, den Steinbruch, die Weinberge, den Kartoffelanbau u.a. Darüber hinaus hilft er, wo er kann, vermittelt im Streit oder zeigt Klugkeit und Menschlichkeit. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck. In 24 Erzählungen entsteht so mit warmherzigem Humor ein ganzes ´Bilderbuch` der kleinen armen Gemeinde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Autorenportrait:
Bernhard Hoffmann, geboren 1951, lebt in Korlingen bei Trier und schreibt seit seiner Jugend. Er war Lehrer für Deutsch und Religion und von 2000 bis 2013 Dozent in den Bildungswissenschaften an der Universität Trier. 2020 erschien "HEIMAT, Korlingen damals und heute".
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DER PITTER. KORLINGER GESCHICHTEN I
Sprache: Deutsch
Umfang: 140 S., 50 farbige Illustrationen von Christina Bublitz
Format (T/L/B): 0.9 x 21.5 x 13.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2022
Einband: kartoniertes Buch
Erschienen am 03.01.2022
Preis: 18,90.-€ (zzgl. 1,90.-€ Versand, falls nötig)
ISBN: 9 783755 778547
Einfach per Mail bestellen: hoffmann1530@aol.com
Der französiche Graf
Die blutigen Ereignisse der französischen Revolution von 1789 drangen Stück für Stück bis nach Trier, den einen zur heimlichen Schadenfreude, den andern verhalfen sie zu schlaflosen Nächten; man braucht wohl nicht zu sagen, wer hier gemeint ist. Jedenfalls wusste man auch in Korlingen so ungefähr Bescheid, aber im katholischen Land kam es zu keinen Unruhen, der Herrgott hatte das verboten, sagten die auf der Kanzel. Und der Abt von Sankt Martin war recht großzügig, als der Zehnte schmäler ausfiel –. Eines Tages im Herbst, als der Pitter im Wald ins Holz ging, fand er ein totes Pferd; es machte keinen guten Eindruck, abgehetzt, dürr, verletzt, mit fremdartigem Zaumzeug. Was sollte er machen, Füchse und Vögel würden ihre Arbeit tun. Es ist immer traurig, ein totes Tier zu sehen, zumal wenn es einen mit großen offenen Augen anblickt; das ging dem Pitter nach, aber ins Holz musste er, der Winter stand bevor, und wer nur eine Axt hat, braucht lange, bis das Feuer vier Monate wärmt.
Dumpfe Hufschläge auf dem Waldboden, der Pitter merkt erst nicht, dass da drei Soldaten angeritten kommen, Franzosen, das erkennt er gleich an den Farben und Mustern. Sie steigen ab und besehen das Pferd, gehen rundum, durchwühlen die Satteltaschen, stoßen wütend gegen den toten Leib. Einen richtigen Lärm machen sie, schnell hackt das in der anderen Sprache. – Aber jetzt verstummen sie plötzlich, schauen den Pitter an, es fühlt sich nicht gut an. Pitter. was wird das? Den Degen zieht einer und hält ihn dem Pitter an den Hals: Wo ist er? – Wer? – Der Degen drückt stärker: Le comte! – Aber der Pitter hat doch niemanden gesehen, was soll er denn sagen? – Merde! – Das versteht man auch ohne Französisch, und gottseidank ist der Degen jetzt weg. Dann parlieren sie wieder, zeigen dahin und dorthin,
steigen auf und reiten fluchend davon. Dabei sagt man immer etwas von der sprichwörtlichen Höflichkeit der Franzosen, denkt der Pitter. Aber das gilt wohl nicht für Soldaten oder Gendarmen, egal wo sie herkommen. – Puh, glaubt mir, jetzt muss der Pitter erst mal ausatmen. Was er da über die Revolutionäre in Paris gehört hat – ein Menschenleben geht dort schneller als es kommt. – Er geht zum Baumstamm, hackt einmal, zweimal – er muss sich setzen: da hat er nochmal Glück gehabt, zimperlich sind die nicht. Und wie er so schnauft und den Schweiß abwischt, bewegt sich etwas unter dem Pferd, und dann fliegt der Dreck, und dann kommt eine Hand, und noch eine, und dann kriecht da einer hervor, ein ganzer Mensch schiebt sich heraus, da muss ein Loch gewesen sein.
Jetzt steht er vorm Pitter, ein Lumpenkerl, verschmutzt und blutend an der Stirn. Der greift wieder in das Loch und zieht einen Degen hervor – der Pitter einen Schritt rückwärts. Herrgott, was für ein Tag! Und den reicht er dem Pitter mit beiden flach ausgebreiteten Händen. Der Pitter versteht, so ist das also, einer von denen, die ... na, lassen wir das, wer wusste das denn so genau? Vielleicht war der hier anders, ein Guter, der seinen Leuten genug zu essen gibt und ihnen die Schulden erlässt; einer, der Frau und Kinder zu Hause hat lassen müssen, und wer weiß, ob sie noch leben. Vielleicht aber auch nicht, und er war ein Leuteschinder und hatte ein Dutzend Menschen auf dem Gewissen. – Vielleicht, vielleicht; dem Pitter geht es durchs Hirn, nach links, nach rechts, und zu keiner Lösung. Jedenfalls ist es ein Mensch; so bricht er das Hin und Her ab, reicht dem Fremden die Hand und führt ihn heimlich nach Hause. Denn das ist dem Pitter klar, weg kommt der vorerst nicht. – Grobes konnte er nicht, für jede handwerkliche Arbeit war er nicht zu gebrauchen: da stürzte er in den Mist, da lief ihm das Kalb davon, da spießte er seinen Fuß mit der Gabel auf, da blutete er schon wieder – ungeschickt ohne Ende. Aber in der Küche, da gelang ihm alles, da hielt er sich gerne auf; und nicht, weil es da warm war, sondern er konnte kochen, backen,
braten und alles. Der Katharina zeigte er, wie man Kartoffeln im heißen Fett frittiert, wie man Gestampfte in feiner Makronenform leicht aufbacken kann, wie man Wein zum Braten, zu Sahne, zu Kuchen gibt. Vom Schwein nahm er die Füße, den Kopf, die Ohren und zauberte
etwa Essbares daraus, besonders die Schweinsbäckchen in roter Weinsoße, eieiei! Mit den Kindern brachte er Pilze, die er vor ihren Augen aß, und lehrte sie sie kennen. Dem Pitter gab er eine Liste mit Gewürzen, die er vom Trierer Markt mitbringen sollte. Und von da an schmeckte alles anders – ja, erst mal anders, merkwürdig, neu, aber dann wollte man es nur noch anders. – Ja, und dann sitzt er traurig in einer Ecke und starrt vor sich hin. Einmal zeigt er auf die Katharina und macht das Zeichen vom Halsabschneiden, dann auf zwei der Kinder – die lachen und machen es nach. Da weint er –. Vom Pfarrer weiß der Pitter inzwischen, wen er da vor sich hat. – Die Männer stänkern. Es ist ein Mensch, sagt er zu den Korlingern, und er ist unser Gast, haltet den Mund! – Immer wieder findet man ihn in der Küche. Und dann steht da in einem Holzfässchen, in das er Löcher gebohrt hat, ein halbfester Käse; und daneben einer mit gelblichem Rand; und daneben ein talergroßer mit grünen Blättern, der stinkt. Alle probieren: Hm, lecker! Warum schmeckt der so frisch und der so würzig und nicht so ranzig wie die Selbstgemachten? Da zeigt er, dass er den gelben mit Wein eingerieben und den harten in Weinblätter eingewickelt hat.
So vergeht einige Zeit, viele Wörter mehr können sie jetzt auf beiden Seiten, und es wird klar: er will weg: nach Luxemburg, da seien Freunde, die ihm helfen könnten. Pitter, Lüx, bitte! Na, da muss sich der Pitter wieder mal was einfallen lassen, einen großen Mann zu transportieren, ist ja kein Kinderspiel. – Es ist Viezzeit, die Fässer werden gereinigt – das ist es! Ins größte passt er hinein, da muss man Dauben herausnehmen, kleinste Luftlöcher in den Deckel bohren, eine zweite Lage Holz hineinlegen, Decken, Brot, und ab gehts mit Hug. Alles geht gut. Bis an die Wasserbilliger Brücke. Halt, was drin? – Viez! – Probieren! – Herrgott, und jetzt? Aber so schlau ist der Pitter schon, dass er mit den gierigen Beamten gerechnet hat: unter dem Holzsitz schwimmt der Viez, der läuft jetzt aus dem Spundloch in die Becher. A la votre, à la votre! –. Puh, wie die das Maul verziehen und das Gesöff ausspeien. Verhaften müsste man dich! Hau bloß ab! – Der Pitter hatte nämlich den umgeschlagenen Viez eingefüllt, den brauchten sie als Essig. Flugs weiter. Und alles geht gut bis Grevenmacher. Dort lässt er ihn nachts aus dem Fass. Der Mensch umarmt ihn, küsst ihn rechts und links und wieder rechts und links und heult wie ein Schlosshund. Da wird es dem Pitter auch ganz warm ums Herz. – Aber noch wärmer wurde es ihm sieben Jahre später von einem kleinen Fass Burgunderwein, das mit einem deutschen Brief ankam, ein Dank vom Comte Montchaillon de La Roche bei Dijon, der seinen Retter nicht vergessen hatte.
Als die Revolution das Trierer Land erfasste
Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahrhundert. Diesmal geht es um einen politischen Gefangenen.
Am 14. Juli 1789 geschah die große europäische Umwälzung in Frankreich, die ihre Samen in die ganze Welt und auch nach Deutschland trug: Verkündung der Menschenrechte, Aufhebung des Feudalsystems – ja, das alles war überfällig, so viel werdet ihr zugeben. Die Marktfrauen zwangen den König nach Paris, schon im Oktober wurden die Kirchengüter eingezogen. Flugschriften gelangten auch nach Trier, polizeilich verboten, aber der Johann las sie. Auch der Pitter las sie. Von oben nach unten, alles – aber dass es „zack, zack“ ging und von heute auf morgen, das gefiel ihm nicht so ganz. „Die Menschen sind nicht so gut“, sagte er. „Du siehst nicht unser Recht auf Freiheit und Gleichheit“, schimpfte der Johann. „Was ist denn so ein Kurfürst, ein ‚von und zu‘, anderes als ein Mensch wie ich und du? Er hat doch dazu nichts, aber auch gar nichts getan, während wir uns Tag für Tag mühen und abrackern und doch zu nichts kommen!“
Der Johann war wütend und wild, die Flugschriften gaben ihm Zunder. Jedes Wochenende ging er nach Trier, traf dort die Kameraden, die genauso dachten. Der Pitter meinte, das sei alles wahr und gut. Nun müsse man den Wandel aushalten, nicht die Gewalt und die Gewehre bestimmen lassen, was Recht und Unrecht sei. Der Johann schrie ihm entgegen, dass er ein feiger Mensch sei, geboren zum Untertan, gar ein Aristokratenfreund. Wo gehobelt werde, „fallen nun mal die Späne“. Hobeln sei nötig, sagte Pitter, da sei er dafür. Aber wenn die Späne Köpfe würden, wäre das ja wieder gegen die Menschenrechte. Ein Haarspalter sei er, warf der Johann ihm vor, überhaupt: noch ein Freund?
Jeden Samstagabend traf der Johann sich jetzt mit seinen Gleichgesinnten. Aber die kurfürstliche Aufsicht wusste um die Gefahr für ihren Stand und hatte ihre Spitzel. Jedenfalls vergingen keine drei Monate, und der Johann wurde noch spätabends abgeführt wegen Aufruhr und all dem. Er saß also auf der Hauptwache in der Zelle, die für die Ausnüchterung war. Denn wo politisiert wird, wird auch viel getrunken – zu viel. Da sind manche Sätze weniger klug, andere wirklich dumm oder aber in der Hitze voller Gewalt mit Mord und Totschlag. Und es braucht nur einen geschickten Anpeitscher, und die halbe Kneipe hebt den Porz Viez auf den Königsmord. Der das gesagt hatte, war zum Hinterausgang hinaus, die anderen schnappte die Polizei, die das Geschrei auch noch bezeugen konnte, weil die Blödiane nicht einmal eine Wache aufgestellt hatten.
Na, da sitzt der Johann jetzt also in der Zelle auf der Hauptwache, und ihm drohen Gefängnisstrafen ohne Ende. Nach Korlingen lässt er am nächsten Tag melden, er verteidige die liberté, die égalité und die fraternité. Fraternité, das kann der Pitter auch übersetzen. Aber für einen Kasper eintreten, der Hals über Kopf die neue Zeit einrichten will, was dann dieselben kosten könnte – tja, Pitter, was machst du? „Johann, oh Johann! Aber Unrecht soll nicht sein!“
So geht er also am nächsten Tag frühmorgens nach Trier, direkt zum Gericht, das war von der Hauptwache nicht weit. „Johann, oh Johann!“ Am Frankenturm, am Haus gegenüber, schimpfte ein Mann einen Schlosser aus, seine Tür sperre immer noch nicht. Der Pitter sah hin – und durch den Hausflur am anderen Ende den hellen Sonnenschein im Hof, und das war seine Erleuchtung: Da rein, hinten raus? Denn das war offensichtlich, dass ein Polizist den Johann hier vorbei zum Gericht bringen musste. „Ja ja“, brummte der Schlosser, „morgen kommt ein neues“. Der Pitter ging weiter. Und nachdem die Streiterei beendet war, wieder zurück: Die Tür öffnete sich, der Hof leuchtete ihm entgegen. Keiner da und Gott sei Dank kein Hund. Dort war eine halbhohe Mauer, dahinter ein Garten mit Zaun, dahinter die Querstraße … Da war der Plan fertig.
Seine Frau Katharina und den Nikla weiht er am Abend ein. „Ei, Pitter, willst du auch im Bulles landen? Gefährlich ist das.“ – „Eher geht es schief, als dass es gelingt. Zu zweit, wie soll das gehen? Unmöglich, das Ganze; zu riskant!“ Pitter redet auf sie ein wie auf ein krankes Pferd, pausenlos: Wie ungerecht das sei. Der Johann hätte doch auch ein Recht auf Meinung. Die hohen Herren säßen längst nicht mehr so fest im Sattel – viele seien jetzt auffallend großzügig. Was in Frankreich ginge, könnte auch bald hier geschehen. In Saarbrücken hätten sie den ganzen Winter über Freiheiten vom Fürsten Ludwig gefordert und bekommen. Klug müsse man es eben anstellen. „Wie denn?“, fragten die beiden. Und nachdem Pitter es erklärt hat, gibt ihm die Katharina ihren Segen: „Mach es, du hast recht.“ – „Und du, Nikla?“ – „Hm, ja …“ – „Also abgemacht!“ Und flugs drückt ihm der Pitter die Hand, nimmt einen Zwirbelbart und hält ihn dem Freund unter die Nase. Da lachen sie.
Morgens stehen sie in der Dietrichstraße, der Pitter am Frankenturm, der Nikla oberhalb des Hauses mit dem kaputten Türschloss. Sie haben alles ausprobiert, alles vorbereitet, und dennoch klopfen die Herzen, und der Nikla schwitzt durch alle Hemden und Jacken. Warten … Ach, Herrje, da kommen sie schon, der Johann gefesselt, geführt von einem Blauen. Der Pitter, von unten kommend im Sonntagsstaat mit Schnauzbart und schwarzem Hut über den Augen. Genau vor dem Haus lässt er einen Gulden fallen, der kullert dem Blauen vor die Füße. Und dann, als der sich bückt, bückt sich auch der Pitter und stößt mit seinem kräftigen Schädel dem die Mütze vom Kopf – wie ungeschickt! „Depp, blöder!“, schreit der und greift nach der rollenden Kappe. Da bückt sich der Pitter. Rumms! Schon wieder stoßen sie zusammen. „Kerl, er!“, brüllt der Blaue und sieht sich um: Der Johann ist weg! Den hat der Nikla schnell in den Gang gezogen und die Tür wieder flugs geschlossen. „Da oben, da oben!“, schreit der Pitter, zeigt Richtung Fleischstraße. „Den sind sie los!“
Der Pitter geht um die Ecke, da steht schon Hug, das Pferd, mit dem Fuhrwerk voll Heu. Die schöne Jacke aus, den Hut weg, eine schmutzige Decke über die Beine gezogen, den Bart noch ab mit einem Ruck. Und da kommen sie schon, der entfesselte Johann mit Nikla, dem die schwitzigen Haare ins Gesicht hängen – hinein ins Heu alle beide und ab.
Das waren nun vier Kriminelle auf dem Weg nach Korlingen, das könnt ihr nicht bestreiten. Der Johann, der Nikla und natürlich der pfiffige Pitter und ... Aber nein, Hug wollen wir doch ausnehmen, denn ein Pferd ist ein Pferd, und das ist ja wohl grundsätzlich nicht schuldfähig.
24 Pitter-Geschichten von Bernhard Hoffmann sind als Buch erschienen: „Der Pitter – Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, Infos per E-Mail an hoffmann1530@aol.com oder im Buchhandel, ISBN: 9783755778547.
Wenn Amors Pfeil sehr tief fliegt
Alle sahen es und wussten es, und Klatsch und Tratsch machen ja am meisten Spaß. Bloß: Es ging einfach nicht voran mit den beiden. Sonntags in der Kirche, da sah man die heimlichen Blicke vom Anton hinüber zu einer Bank auf der Frauenseite und wusste, warum die Marie immer nur ganz gerade nach vorne schaute. Es war zu köstlich, zuweilen vergaß man sogar die Predigt.
Aber es ging eben nicht voran mit dem Anton aus Irsch und der Marie aus Korlingen. Jedenfalls belebte es den Gottesdienstbesuch. Die Korlinger gingen nämlich zur Kirche über den Berg nach Irsch. Da hatten die beiden sich gesehen – autsch! Und da hatte es gefunkt, so heftig, wie das eben manchmal geht. Und nach der Messe hielt man sich ach so gerne vor der Kirche auf und genoss, dass der Anton jede Woche ganz zufällig einen Schritt näher hinter der Marie herging.
Da erbarmte sich der Pitter und nötigte dem Anton jedes Mal ein Gespräch auf, damit er ein paar Hundert Meter weiter mitlaufen konnte. Die beiden freundeten sich sogar an, wobei das Gespräch relativ einseitig war. Denn der Anton machte höchstens „Ach so“, „Ja ja“, „So so“ und „Hmm“ und hatte nur Augen – na, für wen wohl? Dann kam er zum Pitter nach Korlingen, um mit ihm zu reden. Worüber? Tja, über einen Stiel vom Beil und einen Schleifstein und die Vorzüge der neuen Gürtelschnallen und so wichtige Sachen. Komisch, da lief die Marie über den Hof: zu den Hühnern und von den Hühnern, in den Stall und aus dem Stall und in den Garten und so weiter. Aber die sah den Anton gar nicht, überhaupt nicht, und hörte ihn auch gar nicht. Das lag aber daran, dass der Anton immer vergaß, was er sagen wollte und scharf überlegen musste.
Da wurde es dem Pitter zu bunt. So viel Blödheit beim Anton und so viel Salz im Kuchen und Zucker in der Suppe bei seiner kleinen Schwester gingen ihm gehörig auf den Geist. Als nun der Anton eines Tages wiederkam, war er vorbereitet. „Marie, komm schnell!“, schrie er. „Das Kalb ist ausgebüxt. Anton, rasch, hilf!“ Und der Anton lief hinter dem Pitter her, und die Marie flugs aus dem Haus. An den Kaninchen vorbei, hinter der Scheune entlang, von dort zwischen Holzschuppen und Stall zurück. Rumms! Da fällt der Anton der Länge nach hin. Er rappelt sich gerade auf und dreht sich um, um nach der Ursache zu suchen, als – hui! – die Marie auf ihn drauffliegt, der Länge nach. Ob es ein urzeitlicher Beutegriff oder beherztes Ausnutzen der Lage ist, jedenfalls umklammert der Anton die Marie mit beiden Händen. Und ob es schreckhaftes Erstarren oder eine sozusagen raffinierte List der Marie ist – wer weiß das? Jedenfalls bleiben beide so liegen und starren sich an. So kann der Pitter heimlich die Schlaufe des Seils am Schuppen lösen und zieht es unbemerkt von der anderen Seite in die Scheune zurück. Natürlich war er darübergesprungen, wo es die beiden umgerissen hat. Pitter, Pitter! – Die beiden sitzen nebeneinander da und fragen sich, ob es wehtut und wo und fassen sich an Kopf und Ohren, Arme und Hände. Und der Anton streicht der Marie über die Haare und die Marie dem Anton über die Stirn, wie man das bei kleinen Kindern macht.
Dann – na, das war schon eine ganze Weile später – begleitete die Marie den Anton den halben Weg. Die Wiesen waren so grün und die Felder so gelb und der Himmel so blau – so war es noch nie gewesen, ehrlich. Und der Anton hörte zum allerersten Mal, dass die Vöglein so wunderbar singen. Gott, wie schön das alles war. Oben angekommen auf der Korlinger Höhe, verabschiedeten sie sich und gaben sich voller Inbrunst – die Hände. Und der Anton sagte zu Marie: „Marie!“ Das ist zwar nur ein Wort, aber übersetzt heißt das: „Liebes, Liebstes, Allerliebstes, ich liebe dich jetzt und immerdar, willst du meine Frau werden?“ Das verstand die Marie natürlich und antwortete: „Anton!“ Und das verstand der natürlich auch.
So rannten sie nach Hause, die Marie mit fliegenden Röcken und rasendem Herzen, der Anton ein Kinderlied singend, von Bienchen, summ, summ, summ. Jedenfalls waren die beiden bald danach verheiratet, und die Marie zog zum Weinbauern Anton nach Irsch. Verrückt, was Amors Seil so anstiften kann.
24 Pitter-Geschichten von Bernhard Hoffmann sind als Buch erschienen: „Der Pitter – Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, Infos per E-Mail an hoffmann1530@aol.com oder im Buchhandel, ISBN: 9783755778547.
(Anmerkung: Seit 1794 haben die Franzosen Trier und das linksrheinische Gebiet besetzt. Trier wird Hauptstadt des Saardepartements.)
Da war plötzlich so ein Gerücht im Dorf und alle glaubten. Das kann schnell gehen mit dem glauben, entweder wenn es ernst wird oder wenn es jemandem nützt –. Sogar von Irsch kamen sie oder von Filsch: da war nämlich eine Heilquelle oberhalb der Wacken entdeckt worden, von wem bloß? Denn das Wasser hatte der Pitter schon so manchen Winter quillen sehen. Und jetzt war das eine ´wundertätige` Heilquelle –. So kamen also die Menschen mit den Augenleiden, dem harten Husten, dem Ischias und Zipperlein, dem Kreuzweh, Bauchweh und was es sonst noch so gibt, denn so genau wusste das natürlich keiner, wofür oder wogegen das Wasser helfen sollte. – Wir gehen ins Mittelalter zurück, schimpfte der Pitter bei der Katharina. Aber die meinte, man solle die Menschen tun lassen, was sie wollten. Der Glaube versetze Berge, sage der Herr Pfarrer. – Ja, Herrgott, aber anstatt zum Arzt zu gehen, saufe man jetzt schmutziges Regenwasser; das sei vielleicht der schnellste Weg in den Tod.
Die Sache nahm einigen Aufschwung, die Menschen kamen und füllten das Wasser flaschenweise ab, das Korlinger Wasser wurde berühmt, kann ich euch sagen, bis zur Mosel herab. Am blödesten waren die, die lästerten und lachten – und nachts sah man sie mit vollen Flaschen heimkommen. Am schlimmsten aber trieb es die eine aus dem Dorf, die beim ersten Vollmond nach der Wintersonnenwende abgefüllte Flaschen für teuer Geld verkaufte. Die seien dreifach wirksamer. Sogar eine Prozession pilgerte den Berg hinauf! Da könnt ihr euch vorstellen, dass dem Pitter der Kragen platzte –.
Er ging zum Pfarrer, der solle den Unsinn unterbinden, schon 1784 habe Kurfürst Wenzeslaus solcherlei religiöse Missbräuche verbieten lassen. Und die Franzosen wären wohl kaum entzückt, wenn sie von dieser unvernünftigen Heilerei zu hören bekämen. – Na, deren Tempel der Vernunft, die jetzt die Kirchen ersetzen sollten, hülfen den Menschen auch nicht. Ohne den Glauben wäre der Mensch wie ein hilfloses Stöcklein auf dem Wasser. – Aber die Medizin sei ein Gottesgeschenk und könne besser heilen als Grundwasser, das im Winter den Berg herunterlaufe. – Der Mensch brauche etwas zum Festhalten. – Kurpfuscherei sei das, Geldmacherei und Betrug dazu. – Pitter, die Wege des Herrn sind unerforschlich, sagt der Pfarrer. – Der Pitter schaut ihn nur lange an – dreht sich um und geht. – Da lebt man im 19. Jahrhundert, die Pest ist besiegt und die Kaiserin Maria-Theresia hat die gesamte Bevölkerung mit Medizin gegen die Pocken impfen lassen, und die Scharlatanerie geht immer so fort, schimpfte er beim Nikla. – Die Alte verdiene sich dumm und dusslig, jetzt habe sie sogar besondere braune Flaschen, so kleine medizinische wie in der Apotheke, sagte der.
Aber eines Morgens, als der Pitter sehr früh auf ist, um nach Trier zu gehen, hört er das Klicken von Flaschen. Mit einem Handwagen sieht er die eine kommen: Aha, wieder Regenwasser abgefüllt? – Was geht’s dich an? – Heute Nacht war aber kein Vollmond. – Das ist auch anderes Wasser. – So? – Für ärmere Leute, die Arznei ist billiger. – Und jetzt passt auf, denn der Pitter kriegt sie dran: Arznei, soso! Und gleichermaßen wirksam? – Natürlich nicht. – Klar, sind ja keine Vollmondernten, lacht der Pitter. – Aber sie wirken wundertätig, keift die Alte. – Bloß, dass man mehr kaufen muss, wenn man geheilt werden will, stimmts? – Wie? Was? Warum? – Das versteht sie nicht, und der Pitter lässt sie stehen und geht kopfschüttelnd davon.
Na, da geht er nach Trier und dann wieder zurück den Filscher Berg hoch – und da hat er sie schon, die Idee, wie der das Handwerk zu legen ist. Mit dem Nikla geht er noch vor Morgengrauen zur ´wundertätigen Quelle`, lauter Kerzen und Votivtäfelchen stehen da. Und jetzt graben sie 200 Meter über dem Ausfluss Gräben nach links und nach rechts ins Feld, wie die Äste eines Baumes sieht das aus. Das hat er im Nutzbringenden Rathgeber für den churtrierischen Landmann gelesen, wenn es um die Entwässerung von Feldern geht. Und so verläuft sich die scheinbare Quelle – da hat der Pitter kein bisschen ein schlechtes Gewissen. Denn dann wird das nichts mehr mit der Quacksalberei und dem unverschämten Profit der einen im Dorf, und die Leute gehen zum Arzt statt unreines Wasser zu trinken. – Achje, wie sie schreien und zetern und klagen. Jetzt ist die Quelle versiegt! Der Herr will sie strafen! – Tja, die Wege des Herrn sind unerforschlich –.
Birgit und Bernhard Hoffmann lesen aus den aus dem TV bekannten Pitter-Geschichten, in denen das Leben im 18. Jahrhundert lebendig wird. Held ist darin der Korlinger Pitter, dem es immer wieder gelingt, gegen den Willen der Obrigkeit einen Vorteil für das arme Dorf herauszuschlagen. Dabei ist er ein Vorkämpfer der auch in Deutschland beginnenden Aufklärung und geht gegen Vorurteile und Ungerechtigkeit an.
Die Lesung findet im Rahmen des Pluwiger Kultursommers am Sonntag, dem 22. Mai, um 18 Uhr im Johannesberghaus statt.
Die musikalische Begleitung wird Christoph Lauterbach am Piano übernehmen, Originale der Illustrationen von Christina Bublitz werden ausgestellt.
Für einen Umtrunk ist gesorgt. Der Eintritt ist frei, um eine Hutspende wird gebeten
Wir freuen uns auf Sie!
Bernhard und Birgit Hoffmann